Auch wenn unsere Kindheit schon 20, 30 oder gar 40 Jahre zurückliegt: Die Erlebnisse von damals beeinflussen uns auch heute noch. Es ist leicht zu sagen, dass wir ja mittlerweile erwachsen sind und unser Leben frei gestalten können. In der Praxis sieht das Ganze nämlich anders aus. In vielen Situationen, die wir im Erwachsenenleben durchmachen, fühlen wir uns immer noch wie das unsichere, schüchterne oder ängstliche Kind von damals. Meist sind das Situationen, die denen aus der Vergangenheit in irgendeiner Form ähneln. Darum ist es auch kein Zufall, dass Therapeuten ihre Patienten meist zuerst nach ihrer Kindheit fragen. Vielen Menschen ist jedoch gar nicht bewusst, dass ausgerechnet das innere Kind für ihre heutigen Probleme und Nöte verantwortlich ist. Darum stelle ich dir nachfolgend einige prägnante Dinge vor, an denen du erkennst, dass deine Gegenwart noch immer von deiner Kindheit geprägt wird. In einem separaten Beitrag erfährst du dann, wie du dein inneres Kind heilen kannst.
- Ich habe ständig Angst, jemanden zu enttäuschen
Kennst du das Gefühl, nie gut genug zu sein, auch wenn du dich noch so sehr anstrengst? Dabei findet dich dein Partner, dein Chef oder deine(e) beste(r) Freund(in) eigentlich richtig klasse. Es ist auch nicht so, dass du nie gelobt wirst, ganz im Gegenteil: Deine Mitmenschen schätzen und bewundern dich für deine Hilfsbereitschaft, deinen Fleiß und dein Engagement. Trotzdem steckt in dir immer die Angst, du könntest jemanden enttäuschen. Darum strengst du dich mächtig an und wächst förmlich über dich hinaus. Und so rackerst du dich unermüdlich ab, um noch mehr zu geben oder zu leisten, bis du irgendwann dann zusammenbrichst. Ein solches Verhalten ist in den meisten Fällen auf die Kindheit zurückzuführen. Vielleicht waren deine Eltern mit der „Zwei“ in Mathe nie zufrieden und haben immer eine „Eins“ erwartet. Vielleicht hatten sie gehofft, dass aus deinen Blockflötenstunden irgendwann eine Weltkarriere als Musiker wird. Wie auch immer, eine solch überzogene Erwartungshaltung ist noch immer im Drehbuch deines Lebens verankert. Du musst daher lernen, dass du heute niemandem etwas beweisen musst!
- Ich möchte mich immer so „pflegeleicht“ wie möglich präsentieren
Der Fleck auf der neuen „Sonntagshose“, der Kratzer am Fahrrad: Wenn du inzwischen selbst Kinder hast, wirst du wissen, dass bei jungen Menschen ein kleines Malheur immer vorkommen kann. Haben dich deine eigenen Eltern damals für jede Kleinigkeit tüchtig ausgeschimpft oder dich sogar geschlagen, hat sich dies bis heute in deinem Kopf festgesetzt. So sehr, dass du auch als Erwachsener ständig bestrebt bist, dich so unauffällig und „pflegeleicht“ wie möglich zu präsentieren. Schließlich hast du schon früh gelernt, einen eigenen Willen zu unterdrücken und „gefällig“ zu sein. Darum schwimmst du nie gegen den Strom, bist übervorsichtig und tust meistens das, was von dir erwartet wird. In Diskussionen schließt du dich der Meinung der Mehrheit an, auch wenn du vielleicht ganz anders über das Thema denkst. Den tollen Verbesserungsvorschlag behältst du in der Firma für dich, weil du befürchtest, er könnte als Kritik an der momentanen Arbeitsplatzsituation aufgefasst werden. Die Angst, du könntest für ein vermeintliches Fehlverhalten oder Versagen „ausgeschimpft“ werden, ist in deinem Leben allgegenwärtig. Deine Individualität und deine Lebensfreude kommen dabei jedoch ganz klar zu kurz!
- Ich kann einfach nicht „Nein“ sagen
Dein Kollege bittet dich, dein freies Wochenende mit ihm zu tauschen, weil er bei dem tollen Wetter einen Kurzurlaub plant. Und obwohl du eigentlich schon eigene Pläne geschmiedet hast, sagst du zu, denn du kannst einfach nicht „Nein“ sagen. Woher kommt das? Ständige Ja-Sager haben das starke Bedürfnis, von allen gemocht oder geliebt zu werden. Sie fürchten, bei einem „Nein“ abgelehnt und in Zukunft ausgegrenzt oder ignoriert zu werden. Auslöser ist oft ein extrem geringes Selbstwertgefühl. Vielleicht hast du als Kind um die Anerkennung deiner Eltern kämpfen müssen. Vielleicht wurden deine Geschwister immer vorgezogen, so dass du versucht hast, dich mit „guten Taten“ ein wenig in den Vordergrund zu spielen. Ist dieses Konzept tatsächlich aufgegangen, weil du durch die freiwillige Übernahme kleiner Aufgaben endlich das heiß ersehnte Lob und die dringend benötigte Aufmerksamkeit bekommen hast, ist dein Gehirn bis heute auf ein permanentes „Ja“ programmiert. Damit tust du dir jedoch keinen Gefallen, denn du erntest erst dann wirklich Respekt von deinen Mitmenschen, wenn du auch ab und zu mal „Nein“ sagst! Außerdem besteht die Gefahr, dass deine Hilfsbereitschaft mit der Zeit massiv ausgenutzt wird.
- Mich überkommen sehr oft Schuldgefühle
Denkst du manchmal, dass du ein glückliches Leben überhaupt nicht verdient hast? Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn dir etwas Gutes widerfährt? Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten in der Kindheit seinen Ursprung hat, ist relativ groß. Oft wissen Eltern nämlich gar nicht, was sie mit einem einzigen Satz in einem Kind auslösen. Hat dir deine Mutter beispielsweise irgendwann einmal gedankenlos gesagt, dass sie damals nur deshalb nicht studieren konnte, weil du „unterwegs“ warst, hast du dich schon in ganz jungen Jahren unbewusst schuldig gefühlt. Gaben dir deine Eltern die Schuld daran, dass sich deine kleine Schwester beim gemeinsamen Toben am Spielplatz den Arm gebrochen hat, fühlst du dich auch heute noch schlecht, weil du quasi „unverdientermaßen“ einen besseren Job oder eine schönere Wohnung hast als sie. Du musst diese Schuldgefühle loslassen, denn du bist nicht für alles verantwortlich und es liegt auch nicht jedes Unglück oder Pech in unserer Hand!
- Ich habe große Angst, verlassen zu werden
Natürlich hängen wir an den Menschen, die wir lieben. Das heißt jedoch nicht, dass wir diese Menschen auch kontrollieren dürfen. Wenn wir aber schon in der Kindheit schmerzhaft erleben mussten, wie es sich anfühlt, allein gelassen zu werden, kann diese Angst auch noch Jahrzehnte später unser Leben bestimmen. Hat also beispielsweise dein Vater, zu dem du ein sehr inniges Verhältnis hattest, die Familie schon früh verlassen, entwickelst du vermutlich auch jetzt noch starke Verlustängste. Kommt dein(e) Partner(in) einmal später als erwartet, fühlst du dich unweigerlich in deine Kindheit versetzt, als du stundenlang vor dem Fenster hocktest, um vergeblich auf deinen Vater zu warten. Wenn du dem geliebten Menschen jedoch pausenlos hinterher telefonierst oder panische Sprachnachrichten verschickst, geht der Schuss meist nach hinten los. Einen solchen Kontrollzwang hält kaum eine Beziehung aus. Zum Glück gibt es aber Möglichkeiten, die Verlustängste in den Griff zu bekommen.
- Ich habe Probleme, Nähe zuzulassen
Kinder, die von ihren Eltern nur selten oder gar nicht in den Arm genommen wurden, haben meist auch im Erwachsenenleben große Schwierigkeiten (körperliche) Nähe zuzulassen und zu geben. Sie tun sich dann mit Umarmungen, zärtlichen Berührungen und sanften Küssen sehr schwer, weil sie nie erfahren haben, wie selbstverständlich, tröstlich und schön Nähe sein kann. Von einem echten Kindheitstrauma können wir dann sprechen, wenn dein kindlicher Wunsch nach Nähe von den Eltern sogar bewusst abgelehnt oder abgewiesen wurde. Womöglich haben dich deine Eltern sogar ausgelacht, wenn du dich mit deinem aufgeschrammten Knie auf ihren Schoß kuscheln wolltest, um Trost und Geborgenheit zu suchen. Aus solchen Situationen hast du lernen müssen, dass Nähe ein Zeichen von Schwäche oder sogar albern ist. In heutigen Beziehungen bist du körperlicher Nähe zwar nicht abgeneigt, du verhältst dich dabei aber insgesamt kühl, distanziert oder vielleicht sogar grob. In diesem Fall ist es sehr wichtig, dass dein inneres Kind geheilt wird.
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